abb. 18: mitose oder reproduktion durch teilung in der zelle eines tieres. das diagramm zeigt die verschiedenen phasen der dekompartimentierung, die die reproduktive teilung möglich macht.

zitat 1: die zellteilung | zelluläre reproduktion

was geschieht bei alldem mit den zellen? wenn wir irgendeine zelle im sogenannten zustand der interphase teilen, das heißt, wenn sie sich nicht im reproduktionsprozess befindet, werden wir nicht zellen erhalten. während der interphase ist die zelle ein kompartimentiertes system; manche ihrer bestandteile sind also vom rest abgesondert und kommen nur einmal vor, so daß die zelle keinen reproduktiven teilungsvorgang zuläßt. dies ist insbedsondere bei den desoxyribonukleinsäuren (dns) der fall, welche teil der chromosomen sind und sich während der interphase im zellkern, vom rest der zelle durch die membran des zellkerns getrennt, befinden (abb. 18a). während der mitose (zellteilung) bestehen alle stattfindenden prozesse (b – j) in der dekompartimentierung* der zelle. dies ist in abbildung 18 deutlich sichtbar an der auflösung der membran des zellkerns (begleitet von einer replikation der großen doppelhelix der dns) und an der verschiebung der chromosomen und anderer bestandteile. duch diese dekompartimentierung* entsteht die grundlage für eine mögliche teilung. dies alles geschieht ohne unterbrechung der zellulären autopoiese und als ergebnis davon. als teil der eigentlichen dynamik der zelle werden strukturelle veränderungen – wie die bei der mitose sich ausbildende kernspindel (d – h) – geschaffen, welche die teilung der auf diese weise vorbereiteten zelle bewirken. so gesehen ist der zelluläre reproduktionsprozess einfach: eine teilung, bei der zwei einheiten derselben klasse entstehen. in den gegenwärtigen eukariotischen*** zellen (mit zellkern) ist die festlegung dieses vorganges sowie des teilungsmechanismus ein vortrefflicher und verwickelter mechanismus molekularer choreographie. in den älteren zellen (den prokaryotischen**), welche nicht die gleiche kompartimentierung wie in abbildung 18 zeigen, ist dieser prozeß in der tat noch einfacher. in jedem fall ist es deutlich, daß die zelluläre fortpflanzung eine reproduktion im oben erläuterten sinne und keine replikation oder kopie von einheiten ist. dennoch zeigt sich bei der zellulären reproduktion im unterschied zu den oben gegebenen beispielen von reproduktion ein eigentümiches phänomen: es ist die eigene autopoietische dynamik, welche für das wirksamwerden der teilung im vorgesehenen rahmen verantwortlich ist. weder ein äußeres agens noch eine äußere kraft sind dafür notwendig. wir können uns vorstellen, daß dies bei den ersten autopoietischen einheiten nicht der fall war. in der tat war ihre allereste reproduktion eine fragmentierung in folge des zusammenprallens mit anderen wesen aus dem umliegenden milieu. in dem so enstandenen historischen netz begannen sich manche varianten auf grund ihrer inneren dynamik zu teilen. sie verfügten über einen teilungsmechanismus der zu einer abstammung beziehungsweise einer stabilen historischen abfolge führte. wir sind noch weit davon entfernt, deutlch zu sehen, wie dies geschehen sein mag. wahrscheinlich sind diese ursprünge für immer verloren. dies macht aber die tatsache der zellulären teilung als besonderer fall von reproduktion, den wir legitimerweise autoreproduktion nennen können, nicht ungültig.

*dekompartimentierung = teilung, zerlegung, auflösung
**prokaryoten: zelluläre lebewesen ohne zellkern.
***eukaryoten: lebewesen mit zellkernen
autopoiese: au|to|po|ie|se; die; -: fähigkeit, sich selbst erhalten, wandeln, erneuern zu können (duden). 


aus: der baum der erkenntnis | die biologischen wurzeln menschlichen erkennens | humberto r. maturana und francisco j. varela | goldmann

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